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Interview

Mit Erich Marks und Dr.in Anja Meyer!

Das Interview zu Beccaria Österreich

 

Sie haben das Beccaria-Qualifizierungsprogramm entwickelt.
Können Sie aus Sicht des „Gründungsvaters“ oder der „Gründungsmutter“ das Beccaria-Qualifizierungsprogramm in seinen Grundzügen beschreiben.

Seit 2008 bieten wir - der Landespräventionsrat Niedersachsen - im jährlichen Turnus diese spezifische Präventionsausbildung an. Im Februar 2017 startete das Beccaria-Qualifizierungsprogramm Kriminalprävention des Landespräventionsrats Niedersachsen (LPR) bereits das zehnte Mal in Folge. Wir haben inzwischen über 200 zertifizierte Beccaria Fachkräfte. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen aus allen Bundesländern. Wir hatten auch einen Teilnehmer aus der Schweiz und mit Günther Ebenschweiger sogar den Geschäftsführer des Österreichischen Zentrums für Kriminalprävention.

Zu unserer Zielgruppe zählen Personen mit einschlägigen Erfahrungen in der Kriminalprävention (im Haupt-, Neben- oder Ehrenamt). Das können beispielsweise Geschäftsführer kommunaler Räte, Präventionsfachkräfte staatlicher oder kommunaler Einrichtungen sowie freier Träger, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen öffentlicher und privater (sozialer) Dienste der Justiz (Bewährungshilfe, Gerichte, Gefängnisse etc.), des Aus- und Fortbildungssektors sowie aus dem schulischen Bereich sein.

Unser Angebot schließt vier aufeinander aufbauende Module ein, die entweder einzeln oder als Gesamtpaket zu buchen sind:

  1. Modul Kriminologie
  2. Modul Kriminalprävention
  3. Modul Projektmanagement sowie
  4. Modul Projektbegleitung

Bei allen vier Modulen vermitteln wir anwendungsbezogenes Wissen aus dem Gesamtbereich der Kriminalprävention, insbesondere Basiswissen in Kriminologie und Projekt- und Qualitätsmanagement. Wichtig ist uns, dass die vermittelten Lehrinhalte zum einen wissenschaftlich fundiert sind, zum anderen aber auch eine große Praxisrelevanz aufweisen. Schließlich soll das erworbene Wissen in die tägliche Präventionsarbeit einfließen und die Qualität der Arbeit verbessern.

Nach Absolvierung aller vier Module verleihen wir das Zertifikat „Fachkraft für Kriminalprävention“. Das Besondere ist: „Beccaria Fachkraft Kriminalprävention“ haben wir 2013 beim Deutschen Patent- und Markenamt als Marke eintragen lassen. Markeninhaber ist das Niedersächsische Justizministerium.

Warum haben Sie das Beccaria-Qualifizierungsprogramm entwickelt?
Was war der Ausgangspunkt?

Kriminalprävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Prävention befindet sich an der Schnittstelle von vielen Personen mit unterschiedlichen berufsbiographischen Werdegängen, Professionen und Institutionen. Diejenigen, die im kriminalpräventiven Bereich wirken, sind in unterschiedlichen Arbeitsfeldern aktiv: Präventionsgremien, Jugendhilfe, Sozialarbeit, Schule, Vorschulbereich, Polizei, Justiz, Politik, Presse/Medien, Medizin/Gesundheitswesen, Sport, Wirtschaft, Wissenschaft. Was sie allerdings nicht haben, ist eine spezielle Präventionsausbildung. Denn die gab es bis 2008 nicht.

Was wir sicherlich hatten, das sind viele Experten auf diesem Gebiet. Sie kennzeichnet hohes Engagement, intrinsische Motivation und oft maximaler Einsatz. Aber das heißt noch lange nicht, Prävention kann jeder. Stellen Sie sich vor, dass eine Person eine chirurgische Operation durchführte, ohne jemals Medizin studiert und im Anschluss die Ausbildung zum Facharzt für Chirurgie absolviert zu haben, oder dass jemand eine Autobahnbrücke baute, ohne Bauingenieur zu sein und über Statik-Kenntnisse zu verfügen. Jedes Berufsfeld erfordert spezielles Fachwissen. Wenn wir die Qualität in der Kriminalprävention sichern wollen, brauchen Sie gewisse Kenntnisse, beispielsweise die Fähigkeit, systematisch vorzugehen und Maßnahmen, Projekte oder Programme so zu planen und durchzuführen, dass sie auch überprüfbar sind. Dies wiederum erfordert kriminalpräventives Wissen, Kenntnisse kriminologischer und soziologischer Theorien. Es reichte eben nicht aus, das Kriminalitätsproblem x am Ort y zu erkennen und präzise zu beschreiben. Zur Erklärung des Problems müssen Sie theoretische, wissenschaftliche Befunde heranziehen und empirische Erkenntnisse berücksichtigen. Sie müssen die Entstehungsbedingungen analysieren, Projektziele, Zielgruppen und Indikatoren festlegen , anhand derer Sie überprüfen können, ob und in welchem Maße Sie Ihre Ziele und die Zielgruppen erreichen (können). Erst dann entwickeln Sie Maßnahmen, die auch geeignet sind, die Projektziele und Zielgruppen zu erreichen. Leider wird in der Praxis „das Pferd häufig von hinten aufgezäumt“. Akteure haben tolle Ideen, planen eine Maßnahme, z.B. Mitternachtsfußball, ohne überhaupt das Kriminalitätsproblem vor Ort im Blick zu haben. Wenn Sie überprüfen wollen, ob Sie mit Ihrer Maßnahme die erwünschten Ziele erreicht haben, brauchen Sie hierfür methodisches Know-How – nämlich Kenntnisse über quantitative und qualitative Verfahren. Dabei handelt es sich um Kenntnisse, die nicht jede oder jeder, der in der Kriminalprävention arbeitet, per se mitbringt.

Diese Qualifizierungslücke wollten wir mit einer interdisziplinären ganzheitlichen Präventionsausbildung schließen. Das war unser zentrales Anliegen als wir das Curriculum für das Beccaria-Qualifizierungsprogramm konzipierten.

Worin besteht der Mehrwert, der Nutzen für die Teilnehmenden der Qualifizierung?

Neben der Wissensvermittlung spielt der fachliche Austausch zwischen den Teilnehmenden, die aus den unterschiedlichsten Handlungsfeldern kommen, eine große Rolle. Über den eigenen „Tellerrand“ zu blicken, sich mit Standpunkten anderer Professionen auseinanderzusetzen, das ist ein Gewinn. In der Praxis „hapert“ es z.B. häufig in der Zusammenarbeit zwischen Polizei und Jugendhilfe. Beim Qualifizierungsprogramm findet nicht selten ein Perspektivenwechsel statt. Kriminalpräventive Themen auf einmal mit einem anderen Blick, z.B. der Polizei oder aber der Jugendhilfe zu betrachten, ein wechselseitiges Verständnis zu entwickeln, ein gemeinsames Projekt zu entwickeln und an einem „Strang zu ziehen“ das sind wichtige Nebeneffekte. Die Teilnehmenden vernetzen sich untereinander. Das Qualifizierungsprogramm ist selbst eine Art Netzwerk, mit denen sich einige identifizieren. Bei einem Interview - im Rahmen der Evaluierung des Beccaria-Qualifizierungsprogramms - sagte ein ehemaliger Teilnehmer: „Beccarianer nennen wir uns, glaube ich…“ Gibt es ein größeres Lob?

Gab es „Nebenwirkungen“ mit denen Sie nicht gerechnet hatten? Was waren die größten Überraschungen/Erfolge?

Ja, zum einen sind wir stolz auf die Auszeichnung mit dem „Meilenstein der Kriminalprävention“, den das Beccaria-Qualifizierungsprogramm 2013 erhalten hat. Zum anderen freuen wir uns, dass die Präventionsausbildung nicht nur deutschlandweit, sondern auch national und international, nachgefragt wird. Wir haben seit 2013 eine Kooperationsvereinbarung zur Nutzung des Qualifizierungsprogramms mit dem Landespräventionsrat des Freistaat Sachsen. Und 2017 kooperieren wir nun auch mit Ihnen - dem Österreichischen Zentrum für Kriminalprävention.

Wenn wir flächendeckend qualifizieren, Kompetenz vermitteln, dann haben wir mehr Qualität, Wirksamkeit und Professionalität in der Kriminalprävention. Dieses Ziel verfolgen wir. Weiterbildung ist wichtig. Weiterbildung lohnt sich!

 

Erich Marks   Anja Meyer

 

Vorstellung

Erich Marks

Erich Marks, M.A.
Diplom-Pädagoge und Philosophie

ist seit 2002 hauptamtlicher Geschäfts­führer des Landes­präventions­rats Nieder­sachsen (LPR) und seit 1995 Leiter des Deutschen Präventions­tages (DPT) im Nebenamt.

 

Anja Meyer

Dr.in Anja Meyer
Diplom Sozialwirtin

ist seit 2002 beim Landes­präventions­rat Nieder­sachsen (LPR) tätig, leitet die Beccaria-Qualitäts­initiative und hat maßgeb­lich die Beccaria-Standards sowie das Beccaria-Quali­fizierungs­programm Kriminal­prävention entwickelt.